“Du warst mei erste große Liebe …”
Mit einer violetten Interpretation seines Hits anlässlich des 100 jährigen Bestehens der Wiener Austria schaffte der große Wolferl Ambros ein Werk, das mich ein Leben lang begleiten wird und mir – so wie vielen anderen Veilchen – zutiefst aus dem Herzen spricht. Den Titel dieses Klassikers möchte ich als Aufhänger nutzen, um meine Bindung zu meinem Herzensverein zu reflektieren und mit allen Interessierten zu teilen.
Meine Geschichte beginnt als Kind der Neunziger im Westen Niederösterreichs. Bereits als Kleinkind jagte ich dem runden Leder gemeinsam mit meinen Freunden von früh morgens bis spät abends hinterher. Wir teilten alle die Begeisterung für die schönste (Neben-)Sache der Welt, spielten beispielsweise 2006 alle WM Tore nach und träumten alle davon, einmal selbst vor 70.000 Zusehern das entscheidende Tor bei einer Weltmeisterschaft zu erzielen. Die verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses interessierte uns als damals 10 Jährige trotz unserer österreichischen Reisepässe in keinster Weise.
Was mich jedoch von fast allen meiner Freunde unterschied, war meine Begeisterung für einen Verein, der seine Heimspiele im 10. Wiener Gemeindebezirk austrägt. In einer damals stark grün vergifteten Gegend wurde ich öfters von den anderen Kindern verständnislos angeblickt, wenn ich mich vor ihnen als stolzer Austrianer deklarierte. Aber damit konnte ich leben.
Ich stamme aus einer violetten Familie, mein Opa war Austrianer, mein Vater ist Austrianer, meine Brüder sind Austrianer – aber das violetteste Blut rinnt ganz klar durch meine Venen. Meine ersten dunklen Erinnerungen datieren aus dem Jahr 2003, als Janocko, Gilewicz, Wagner, Flögel und Co den österreichischen Meistertitel zum 22. Mal nach Wien Favoriten brachten. Kurz darauf begann mein Vater mit mir sporadisch in die große Stadt zu fahren, um die Helden meiner Kindheit von der Tribüne aus zu bejubeln. Auch das „Anfassen“ meiner Idole bei diversen Vorbereitungsspielen in der niederösterreichischen Provinz ist etwas, an das ich mich noch immer sehr gerne erinnere. Meine stärkste Erinnerung aus meiner frühen Kindheit war jedoch als mein Vater ein Einlaufen meines damaligen Fußballvereins bei einem Meisterschaftsspiel der Veilchen gegen Wacker Innsbruck organisierte. Und so durfte ich als nervöser Knirps das Feld des Horr Stadions Hand in Hand mit dem großen Jocelyn Blanchard betreten. Bei dem Gedanken an diesen Moment bekomme ich heute noch Gänsehaut.
Und nun sitze ich gut 15 Jahre später hier vor dem Computer und denke darüber nach, was seitdem passiert ist. Darüber wie viele Stunden ich in meinem Leben schon damit verbracht habe, Siege zu feiern, mich über Fehlpässe zu ärgern, die optimalen Kaderverstärkungen zu identifizieren und mich einfach auf das nächste Spiel zu freuen. Erstaunlich dass diese Überlegungen überhaupt noch möglich sind, nachdem meine Welt nach Derbyniederlagen schon einige Male (beinahe) untergegangen ist. Ob ich meine violette Leidenschaft bisher eher als Komödie oder als Tragödie wahrgenommen habe, kann ich kaum beantworten. Ich kenne jedenfalls keine Achterbahn mit so vielen Höhen und Tiefen, wie sie die Austria in den letzten zwei Jahrzehnten durchlebt hat.
Da waren einerseits gewonnene Cupsiege und Meisterschaften, phänomenale Momente wie ein 6:1 Derbysieg, ein neues Stadion und unvergessliche Europacup-Spiele. Und kaum ein anderer Tag in meinem bisherigen Leben hat mich emotional so aufgewühlt wie zwei Abende aus dem Jahr 2013: So durfte ich live im Stadion dabei sein, als eine chancenlose Mattersburger Elf aus dem Stadion gefegt wurde und sich meine Veilchen nach einer unglaublichen Saison trotz eines schier übermächtigen Konkurrenten selbst die Krone aufsetzen konnten. Und wenn man denkt, dass dieser Abend kaum zu toppen ist, wird nur kurze Zeit später Roman Kienast eingewechselt und bringt mich sowie 13.000 andere ganz nahe an einen Herzinfarkt. Noch nie habe ich in meinem Leben so viele fremde Menschen in vollkommener Ekstase umarmt und mit ihnen gefeiert wie in dieser Spätsommernacht. Aber jeder auch noch so „unwichtige“ violette Sieg schaffte es, dass ich zumindest mit einem Lächeln schlafen gehen und mich am Montag mit einem Grinsen auf den Weg in die Schule, Uni oder zur Arbeit machen konnte.
Gleichzeitig ist es jedoch auch so, dass mir kaum eine andere Sache in der Welt so viele Kopfschmerzen wie meine Austria bereitet hat. Warum ich Austrianer bin? Meine Lieblingsantwort darauf ist, dass ich hier meinen Masochismus am besten ausleben kann. Das verpasste Veilchenwunder 2010 oder die gestohlene Meisterschaft 2011 liegen mir noch heute schwer im Magen. Auch der für mich vollkommen unerwartete Einbruch nach der gewonnen Meisterschaft 2013, der eine lange Zeit der sportlichen Bedeutungslosigkeit einläutete, darf hier nicht unerwähnt bleiben. Das negative Highlight folgte im März 2021 als ein größenwahnsinniger Georgier als Vertreter eines „Lifestyle Unternehmens“ abstruseste Fantasien von sich gab – Dabei präsentierte er sich als “Retter” meiner finanziell stark angeschlagenen Austria. Selten habe ich mich in meinem Leben derart geniert.
Doch was macht es eigentlich aus, ein Fanatiker eines Fußballvereins zu sein? Ist es nicht absurd, sich mit elf fremden Menschen, die im selben Trikot einen Ball nachjagen, zu identifizieren? Die klare Antwort kann hier nur Jein lauten. Natürlich ist es einerseits unlogisch, viel Freizeit, Geld und Emotionen zu „opfern“ nur um am Ende im Optimalfall einen Sieger in violetten Dressen bejubeln zu können. Aber andererseits bietet mir meine Austria so viel mehr. Sie ist identitätsstiftend. Man lernt mit Niederlagen und mit Siegen zu leben. Sie lässt einen die kleinen Sorgen im Alltag vergessen. Warum das so ist, kann ich ehrlicherweise auch nicht genau erklären. In jedem Fall gibt mir meine Liebe zum Verein etwas, das ich sonst nirgends finde. Und das würde sich auch nicht ändern, wenn die Austria in der 5. Liga spielen sollte. Bis heute habe ich nicht verstanden, wie man beispielsweise ein Fan von Red Bull Salzburg sein kann. Obwohl dieses Konstrukt fantastisch funktioniert, geht es hier nicht um den Fußball. Vielmehr ist es das Ziel, mehr „Diabetes eingewickelt in einem Umweltproblem“ zu verkaufen. Wäre dieses Ziel durch die Unterstützung eines Ballettvereins besser erreichbar, würden die Marketingmittel dorthin fließen. Diese fehlende Identität lässt sich auch sehr gut am Red Bull Kunden (und ich spreche bewusst nicht vom Salzburg Fan) wiedererkennen.
Bei der Austria (und wahrscheinlich auch bei vielen anderen Traditionsvereinen) verhält es sich anders. Hier kann auch Euphorie entstehen, obwohl man sportlich in den letzten beiden Jahren ehrlicherweise nur mittelmäßige Resultate erzielte. Hier geht man auch nach einer 3:0 Niederlage nach Hause und ist noch immer stolz darauf, das Trikot mit dem violetten Emblem zu tragen. Hier würde ein Untergang des Vereins zeitgleich den Tod eines Teils von sich selbst bedeuten.
Alle diese Gedanken machen mir eines klar: Man kann seinen Beruf, seine Freunde, seine Frau oder die Stadt, in der man lebt, wechseln, aber niemals wird sich das violette Blut in meinen Adern verfärben, niemals werde ich aufhören ein Veilchen zu sein.
Mit Stolz kann ich also behaupten: Ned nur deine, Wolferl!
Bin ganz bei dir. Ich bin auch seit meinem sechsten Lebensjahr ein Violetter durch und durch, und somit seit heuer ein halbes Jahrhundert ein Veilchen.
Sehr cool geschrieben!
Danke für die tollen Einblicke in dein violettes Fan-Dasein und die vielen aufgewärmten Erinnerungen die einem beim Lesen durch den Kopf gehen!