10 Erkenntnisse aus 10 Wochen Wimmer

21. Runde der Fußball-Bundesliga, Debüt von Manfred Schmid als Cheftrainer des Wolfsberger AC, während die Wiener Austria mit Michael Wimmer auf der Trainerbank in Graz um das obere Play-Off kämpft. Eine Einleitung, die so vor wenigen Monaten wohl noch undenkbar gewesen wäre.

Am 3. Jänner 2023 hat Michael Wimmer seine Arbeit beim FK Austria Wien aufgenommen. 10 Wochen sind seitdem vergangen, die folgenden 10 – streng subjektiven – Erkenntnisse sind dabei entstanden:

1. Austrias neuer Spielstil

Frech, mutig, zielstrebig. Ungefähr so beschreibt Michael Wimmer seine eigene Spielidee. Tatsächlich war in den ersten vier Pflichtspielen auch bereits zu sehen, dass die Veilchen anders auftreten als unter Vorgänger Schmid. Die ganz große Revolution blieb bisher aber aus. Erwartungen, dass die Austria extrem hoch anpresst und so vielleicht defensiv anfällig ist, wenn die erste Pressinglinie überspielt wird, trafen so nicht ein. Besonders beim Auftakt gegen Austria Klagenfurt stand die Austria zeitweise tiefer als noch in der Vorbereitung, wohl auch aus Gründen der Kraft, die im zweiten Durchgang zunehmend ausging.

Inzwischen festigt sich der Eindruck, dass die Fitness den gewünschten Spielstil über 90 Minuten erlaubt, dieser Spielstil aber noch nicht so riskant und mutig ist, wie er langfristig wohl sein soll. Jedenfalls ist das Spiel nach vorne direkter, das Spiel über die Flanke deutlich aktiver – zur Freude von Haris Tabakovic.

2. Souverän in der Defensive

4 Pflichtspiele, 0 Gegentore aus dem laufenden Spiel zu elft. Dennoch musste Chris Früchtl drei Mal hinter sich greifen – zwei Mal aus Eckstößen (gegen Klagenfurt aus einem Fehler in der Zuordnung heraus, gegen Ried selbstverschuldet), ein Mal aus dem laufenden Spiel, als die Austria wegen einer Baltaxa-Verletzung gerade in Unterzahl war (in Lustenau).

Jedenfalls steht die Dreierkette der Austria sehr souverän und lässt außerordentlich wenige Torchancen zu – diese Erkenntnis stand nach allen vier Pflichtspielen, wenn auch die Gegner zu den sechs Teams gehörten, die die wenigsten Liga-Tore bisher erzielt haben, insbesondere die SV Ried mit ihren zuvor 13 Toren in 19 Spielen.

3. Starkes In-Game-Coaching

Passivität oder Inaktivität an der Seitenlinie muss sich Michael Wimmer wohl nie vorwerfen lassen, eher ist er einem zu hohen Puls gefährdet. Der Veilchen-Coach reizt seine Coachingzone über 90+ Minuten aus und ist wohl das lautstärkste Trainer der österreichischen Bundesliga, was das Coaching seiner Mannschaft anbelangt. Mit Hand und Fuß betreut er seine Elf durchgehend, auffällig häufig holt er Spieler in Unterbrechungen zu sich, um ihnen Anweisungen zu erteilen, zuletzt vor allem Aco Jukic. Wimmer reagiert aber auch, wenn etwas nicht läuft, beispielsweise in Ried, wo er zum einen rasch auf die Taktik der Rieder reagierte (siehe abseits.at-Analyse) und zum anderen bereits zur Halbzeit wechselte und damit richtig lag, weil Doron Leidner einen besseren Tag erwischte als Manuel Polster.

4. Die Veilchen und die Offensiv-Standards

In Angst und Schrecken sind Gegner in den letzten Jahren selten verfallen, wenn die Austria einen Eckstoß zugesprochen bekam. Das tun sie zwar wohl weiterhin nicht, zumindest sind die FAK-Standards unter Wimmer aber deutlich gefährlicher. In der Vorbereitung gelangen einige Treffer nach Ecken, in der Meisterschaft zuletzt in Ried ebenso. Die Austria hat grundsätzlich mit Fitz, Jukic, Gruber, Braunöder und neuestens Leidner gute Schützen, ebenso wie mit Handl, Tabakovic, Martins oder Mühl große Zielspieler zur Verfügung stehen. Alles angerichtet, um künftig gefährlicher zu werden.

5. Die Veilchen und die Defensiv-Standards

Angst und Schrecken haben eher die Austria-Fans, wenn der Gegner einen Eckstoß hat. Die Verteidigung der defensiven Standardsituationen ist noch stark ausbaufähig – nicht nur, weil zwei der drei Gegentore im Frühjahr so entstanden sind, auch waren weitere gefährliche Torchancen das Produkt mangelhafter Zuteilung oder Umsetzung, besonders gegen Austria Klagenfurt. In Ried gelang dies zwar schon besser, dennoch konnte Stefan Nutz eine Ecke direkt verwandeln, weil Früchtl und Martins die hervorragende Flanke nicht resolut genug verteidigen konnten.

6. Der alte, neue Torjäger

22 Spiele, 3 Tore, 1 Assist.
4 Spiele, 5 Tore, 1 Assist.

Selbst die schwächsten Mathematiker kommen wohl nicht um das Fazit, dass Haris Tabakovic der stärkste vermeintliche Neuzugang des Winters ist. Besonders erfreulich ist aber gar nicht so sehr, wie der Schweizer trifft, sondern vor allem zu wie vielen Chancen er kommt, obwohl die gegnerischen Ketten gewarnt wären. Das spricht für die Offensive der Austria und seine Bewegung. Seine Tore sind dabei durchaus sehenswert, zugleich könnte er im Frühjahr aber auch schon bei der doppelten Ausbeute stehen. Neben seinen Treffern ist Tabakovic aber auch deutlich besser ins Spiel eingebunden, sichert und verteilt Bälle gut, setzt seinen Körper wirksam ein und holt Freistöße heraus. Ein selbstbewusster “9er”, wie es ihn in der aktuellen Spielidee braucht.

7. Neue Positionen, neues Glück

Dass Marvin Martins als Innenverteidiger aufläuft, hatte vor einigen Monaten wohl ein ähnliches Erwartbarkeits-Level wie Manfred Schmid als Cheftrainer des WAC. Es ist Schmid zu wünschen, dass er ähnlich gut performt wie Martins auf seiner neuen Position. “MM66” wurde in der Vorbereitung zuerst als halbrechter Innenverteidiger der 3er-Kette erprobt, ist inzwischen aber gar zentral gesetzt, sodass Kapitän Mühl auf die (für ihn nicht ideale) halblinke Position ausweichen muss. Martins macht das hervorragend, ist mit seinem Tempo in der Verteidigung und mit seinen Dribblings im Spielaufbau enorm wertvoll. Ähnliches gilt für Jukic als zentralen “Achter”, wo er viel besser zur Geltung kommt als am Flügel unter Schmid. Umgekehrtes gilt für Fischer, der in der vordersten Reihe noch nicht so auffällig ist wie im zentralen Mittelfeld. Das kann auch für Fitz vermutet werden, der auf seiner neuen Position verletzungsbedingt aber noch nicht das Gegenteil beweisen konnte.

Außerdem, auf gewohnter Position, absolviert Jo Handl bisher ein extrem starkes Frühjahr und rechtfertigt seine Vertragsverlängerung bis 2026 sowohl im Abwehrverhalten als auch im Spielaufbau. Auch Nikola Dovedan ist deutlich stärker als in der Herbstsaison. Doron Leidner deutete bei seinen Joker-Einsätzen an, eine Verstärkung zu sein und darf sich Hoffnungen machen, am Sonntag in Graz erstmals von Beginn an aufzulaufen.

8. Der Favoritner Verletzungsteufel

Zeitweise konnte Austrias Lazarett eine Startelf aufbieten, die wohl in der UEFA Conference League gut mithalten könnte: Früchtl im Tor, Teigl, Galvao und El Sheiwi in der Abwehr, Holland und Wustinger zentral, Gruber und Dramé auf den Flügeln, Fitz als Spielmacher hinter der Doppelspitze Raguz und Huskovic.

Auch wenn sich das Lazarett sehr langsam, aber zumindest ein wenig lichtet: diese Ausfälle sind zu bedenken, wenn man Austrias Performance beurteilt. Galvao wäre prädestiniert für die neue Dreierkette, für El Sheiwi ist die linke Flügelposition mit etwas weniger Defensivaufgaben hervorragend geeignet, Holland oder Wustinger gäben zentral etwas mehr Spielraum, Gruber war im Herbst ein sehr wichtiger Leistungsträger, Fitz sowieso, Dramé könnte in das schnelle, zielstrebige Spielsystem gut passen, Huskovic und Raguz wären wohl Stammspieler.

Zeitweise musste Michael Wimmer kämpfen, überhaupt 18 fitte Spieler für den Matchkader zu finden. So kam Florian Kopp nach Lustenau mit, sodass auf der Ersatzbank drei von sechs Feldspielern Innenverteidiger waren.

9. Abfahrt, Super-G und Slalom

Das Ziel, dass die Kampfmannschaft, die Young Violets und die Akademie die selbe Disziplin trainieren, wie es Jürgen Werner und Manuel Ortlechner gerne plakativ formulieren, ist wohl eher ein Langzeitprojekt. Die Young Violets starteten in die Vorbereitung im gewohnten 4-3-3. Erst als Harald Suchards Sessel immer stärker wackelte, stellte er auf die selbe Formation wie in der Kampfmannschaft um. Die Bilanz nach drei Pflichtspielen: drei Niederlagen, acht Gegentore, am besten Wege in die Regionalliga Ost. Auch in der Akademie ist zumindest in den Tabellen mit Platz 7 (U15), Platz 11 (U16) und Platz 3 (U18) Luft nach oben, wenngleich die Anzahl der absolvierten Spiele in den ÖFB Jugendligen variiert und der Tabellenplatz ohnehin nicht an oberster Stelle der Entwicklung steht.

10. Und wo steht die Austria jetzt?

Das Auswärtsspiel in Graz wird den Veilchen wohl weisen, wo sie tatsächlich gerade (noch nicht?) stehen und wie weit die Entwicklung unter Michael Wimmer fortgeschritten ist. Jedenfalls ist der Auftakt mehr als geglückt: drei Siege in vier Spielen (ein vierter gelang eher unglücklich und ungeschickt nicht), eine sehr stabile Defensive, ein aufblühender Torjäger, gutes In-Game-Coaching sowie vernünftige, kluge Interviews und ein sympathischer Auftritt des Cheftrainers. Reicht das, um auch Sturm Graz und den Wiener Erzrivalen zu besiegen? Zwei Wochenenden der Wahrheit für Violett.

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